Marta und Maria
Aus der Predigt in der Wortgottesfeier am 12. Mai 2019 von Ulrike Heimhilcher-Dohnal
Gedanken zu Lk 10,38–42
„Als sie weiterzogen, kam Jesus in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn gastlich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen, zu dienen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.“
Lassen wir nun die Worte Jesu auf uns wirken! Und wagen wir auch einmal das Experiment, auf das zu hören, was Jesus in diesem Evangelium alles nicht sagt!
Zuerst einmal: Jesus sagt nicht: Marta, du machst es richtig, weil du weißt, wo dein Platz ist.
Jesus sagt: Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.
Und Jesus sagt nicht: Die Frau hat eine natürliche Bestimmung. Und die ist zuerst einmal das Dienen.
Jesus sagt: Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.
Jesus sagt auch nicht: Zu lernen, zu studieren, zu lehren, zu leiten und zu verkündigen, all das entspricht nicht dem Wesen der Frau.
Jesus sagt: Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.
Und weiters sagt Jesus nicht: Die Frau hat eine natürliche Rolle und Aufgabe und die wird ihr vom Mann zugeteilt. Jesus sagt: Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.
Und schon gar nicht sagt Jesus: Der Platz der Frau ist am Herd – und nicht am Altar.
Jesus sagt: Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.
Natürlich können wir es bedauern und ungerecht finden, dass Marta und ihre Arbeit nicht genügend gewürdigt werden. Und diese Erfahrung kennen wohl viele von uns: die Organisation des Alltags, das Management des Haushalts – meist neben Beruf und Kindern – ist eine mühsame, nie enden wollende und oft auch undankbare und unbedankte Aufgabe.
Unser Leben steht nun einmal in einem Spannungsverhältnis. Auf der einen Seite sind da die Herausforderungen und Mühen des Alltags und auf der anderen Seite unsere Sehnsüchte, unser Bedürfnis nach Ruhe und Gottesnähe, nach Selbstfindung und Selbstverwirklichung.
In der christlichen Tradition wird dieses Spannungsverhältnis als Aktion und Kontemplation bezeichnet. Aktion und Kontemplation sind aufeinander bezogen, sie gehören zusammen, sie bedingen einander. So wie auch Marta und Maria Schwestern sind und zusammengehören. Marta ist die Aktion und Maria ist die Kontemplation.
Ich glaube nicht, dass Jesus die Arbeit der Marta geringschätzt. Aber er betont hier klar die Bedeutung der Gottsuche der Maria. Kontemplation vor Aktion. Um es auf den Punkt zu bringen: Jesus stellt letztlich das traditionelle Bild der Frau in Frage. Er fordert Marta auf ihre Rolle zu überdenken, und er ermutigt und bestätigt Maria in ihrem neuen Selbstverständnis.
Und das ist doch wirklich eine Frohe Botschaft: neu, großartig, sogar revolutionär. Jesus sagt: Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.