Der Mantel
Aus der Kurzansprache in der Wortgottesfeier am 23. Feber 2020 von Oliver Meidl
Gedanken zu Mt 5,38–48
Als junger Erwachsener hatte ich einen grau-beigen Trenchcoat. Ich fand so einen Mantel echt praktisch für die Übergangszeit. Und er erinnerte mich an Inspektor Columbo. Peter Falk brillierte in der Rolle des Fernsehdetektivs, der immer wieder zurückkam, wenn er sich in einen Verdächtigen verbissen hatte: „Verzeihung, ich hätte da noch eine Frage…“ Mit der Zeit war mein Mantel zerknautscht und abgetragen wie der von Columbo. Schweren Herzens trennte ich mich schließlich von meinem guten, alten Trenchcoat. Zur Zeit Jesu gab man einen Mantel nicht einfach weg. Ein Mantel bedeutete damals viel mehr.
Um einen Mantel geht es auch im heutigen Evangelium, wo es heißt: „Wenn dir jemand dein Hemd wegnehmen will, dann gib ihm auch den Mantel.“ und „Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte auch die linke hin.“ Wir werden aufgefordert, Böses nicht mit Bösem zu vergelten. Das ist eine zentrale Botschaft der Feldrede bei Lukas ebenso wie der Bergpredigt bei Matthäus. Jesus stellt dem reinen Rechtsdenken die entwaffnende Macht der ertragenden Liebe entgegen.
Gerade ein Schlag mit dem Handrücken gegen die rechte Wange wurde als besonders entehrend empfunden, und der Mantel galt als noch wichtiger als das Hemd. Die Aufforderung, ihn herzugeben, widersprach sogar dem biblischen Pfändungsrecht. Den Mantel eines Mittellosen durfte man nicht pfänden, da er einem Armen zugleich als Bettdecke diente.
Nicht „Wie du mir, so ich dir“ ist also angesagt, sondern die Gewaltspirale zu durchbrechen, den Feind zu „entfeinden“, meinen Widersacher nicht anzuwidern, sondern zu verblüffen. Allerdings spricht Jesus weder von der bedingungslosen Hingabe des Mantels noch vom Betteln um eine zweite Ohrfeige. Nein, es schwingt durchaus die Hoffnung mit, dass sich der Gläubiger als großzügig erweist und der Gegner fair genug ist, nicht ein weiteres Mal zuzuschlagen!
Mit guten Taten sollen wir den Hass überwinden, der uns manchmal entgegenschlägt. Zu jener Zeit hieß das auch, den Hass gegenüber römischen Besatzungstruppen zu überwinden, die von den jüdischen Bürgern Hilfsdienste einfordern durften – etwa das Marschgepäck eine Meile weit zu schleppen. Das war entwürdigend für Bürger, die so zum Handkuss kamen. Dennoch sagt Jesus: „Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm!“ Er zeigt mir, wie ich über die Erwartungen anderer hinaus handeln kann. Mehr zu machen als ich muss, ist jene „Extrameilen-Einstellung“, die es heute genauso braucht wie vor zweitausend Jahren! Dem Römer am Ende des verpflichtenden Frondienstes nicht sein Gepäck vor die Füße zu knallen, sondern freiwilliges Geleit für eine weitere Meile draufzulegen, das kann entwaffnendes Erstaunen auslösen.
Wenn Böses mit Gutem vergolten wird, beginnt der verblüffte Gegner möglicherweise umzudenken und einzulenken. Vielleicht nimmt er sich gar ein Beispiel am „Gescheiteren, der nachgibt“. Bei der gemeinsamen Wanderung kann sich ein freundliches Gespräch entwickeln. Und die „Entfeindung“ beginnt schon…